Die Verwaltungslastigkeit der deutschen Wirtschaft - Wie BWL und HR unsere Produktivität beeinflussen



In den letzten drei Jahrzehnten hat sich in der deutschen Wirtschaftslandschaft ein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Zwei dominante Trends haben dabei unsere Unternehmensstrukturen nachhaltig geprägt: Die "BWL-Schwemme" der 90er und 2000er Jahre, gefolgt von der "HR-Welle" der letzten Dekade. Zeit für eine kritische Bestandsaufnahme.

## Die BWL-Schwemme: Wenn Management zum Selbstzweck wird

Die 90er Jahre markierten den Beginn eines regelrechten BWL-Booms an deutschen Hochschulen. Betriebswirtschaftslehre wurde zum Massenstudiengang, der jährlich tausende Absolventen in den Arbeitsmarkt entließ. Die Folgen dieser Entwicklung:

- Aufgeblähte Managementebenen in Unternehmen
- Zunehmende Fokussierung auf Controlling und Kennzahlen
- Entstehung komplexer Berichtsstrukturen und Prozesse
- Verlagerung des Fokus von Produktion auf Verwaltung

## Die HR-Revolution: Vom Personalwesen zur "People Strategy"

Ab den 2010er Jahren gesellte sich zu dieser Entwicklung ein weiterer Trend: Die massive Aufwertung und Ausweitung der Personalabteilungen. Aus dem klassischen Personalwesen wurde "Human Resources Management" mit immer neuen Aufgabenbereichen:

- Talent Management
- Employer Branding
- Culture Development
- Employee Experience
- Diversity & Inclusion Management

## Die problematische Symbiose

Die Kombination dieser beiden Trends führte zu einer toxischen Mischung:

1. **Ressourcenbindung**: Erhebliche finanzielle Mittel fließen in Verwaltungs- und Managementstrukturen statt in produktive Bereiche.

2. **Komplexitätssteigerung**: Die Verschränkung von Management- und HR-Prozessen schafft zusätzliche Abstimmungsbedarfe und Bürokratie.

3. **Produktivitätsverlust**: Fachkräfte verbringen zunehmend Zeit mit administrativen Aufgaben statt mit ihrer Kernarbeit.

## Der vermeintliche Fachkräftemangel

Vor diesem Hintergrund erscheint der vielbeklagte Fachkräftemangel in einem anderen Licht. Wenn ein erheblicher Teil der gut ausgebildeten Arbeitskräfte in verwaltenden statt in produktiven Tätigkeiten gebunden ist, entstehen zwangsläufig Engpässe in den wertschöpfenden Bereichen.

Einige prägnante Beispiele:
- Ingenieure, die mehr Zeit mit Dokumentation als mit Entwicklung verbringen
- Ärzte, deren Arbeitszeit zu 30% aus Verwaltungsaufgaben besteht
- Handwerksmeister, die sich durch Qualitätsmanagement-Handbücher kämpfen

## Lösungsansätze für die Zukunft

Um diese Entwicklung zu korrigieren, braucht es einen mehrschichtigen Ansatz:

1. **Verschlankung der Managementstrukturen**
   - Abbau von Hierarchieebenen
   - Vereinfachung von Berichtswegen
   - Fokus auf essenzielle Kennzahlen

2. **Neuausrichtung der HR-Funktion**
   - Konzentration auf Kernaufgaben
   - Digitalisierung administrativer Prozesse
   - Abbau überflüssiger Programme

3. **Priorisierung der Wertschöpfung**
   - Investition in produktive Bereiche
   - Reduktion administrativer Lasten
   - Stärkung der operativen Ebenen

## Fazit

Die Überbetonung von Management und HR-Funktionen hat in vielen Unternehmen zu einer Schieflage geführt. Der wahre Fachkräftemangel liegt weniger in fehlenden Qualifikationen als in der ineffizienten Allokation vorhandener Ressourcen. Eine Rückbesinnung auf wertschöpfende Tätigkeiten und der Abbau überbordender Verwaltungsstrukturen könnten der Schlüssel zur Lösung sein.

Nur wenn es gelingt, die Balance zwischen notwendiger Steuerung und produktiver Arbeit wiederherzustellen, können deutsche Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig sichern. Die Herausforderung der kommenden Jahre wird sein, den Mut zu finden, gewachsene Strukturen kritisch zu hinterfragen und wo nötig zurückzubauen.

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