Der Co-op- und WestLB-Skandal: Verflechtungen zwischen Genossenschaftswesen und Gewerkschaften



In der deutschen Wirtschaftsgeschichte gibt es zahlreiche Beispiele für das komplexe Zusammenspiel von Genossenschaftswesen, gewerkschaftlichen Interessen und wirtschaftlichen Skandalen. Zu den bemerkenswertesten Fällen zählen der Co-op-Skandal sowie die Affären um die WestLB und die damit verbundenen Verflechtungen mit der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat.

## Der Co-op-Skandal: Ein Lehrstück über Missmanagement und Selbstbedienung

Die co op AG, einst Deutschlands zweitgrößter Einzelhandelskonzern, entstand aus der Fusion mehrerer Konsumgenossenschaften und war tief in der Arbeiterbewegung verwurzelt. Mit einem Netzwerk von tausenden Supermärkten sollte sie für faire Preise und Qualitätsprodukte sorgen. Doch Ende der 1980er Jahre kam es zum Eklat, als aufgedeckt wurde, dass das Management um Vorstandschef Bernd Otto ein komplexes Netz von Beteiligungen und Scheinfirmen aufgebaut hatte, um Gelder abzuzweigen.

Der Skandal erreichte seinen Höhepunkt, als bekannt wurde, dass die Co-op-Führungsriege mehrere hundert Millionen DM veruntreut und das Unternehmen mit überhöhten Gehältern und Beraterverträgen belastet hatte. Besonders brisant war die Rolle der Gewerkschaften: Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) sowie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hielten über ihre Beteiligungsgesellschaft BGAG (Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG) erhebliche Anteile an der co op AG und stellten wichtige Aufsichtsratsmitglieder.

Die Aufdeckung dieser Selbstbedienungsmentalität erschütterte das Vertrauen in die Gewerkschaften als wirtschaftliche Akteure. Der Co-op-Skandal offenbarte, dass die angeblich im Interesse der Arbeitnehmer geführten Unternehmen ebenso anfällig für Korruption und Missmanagement waren wie private Konzerne.

## Die Ursprünge: Gemeinwirtschaft als Konzept

Die deutsche Gemeinwirtschaft, zu der sowohl genossenschaftliche Unternehmen als auch gewerkschaftseigene Betriebe gehörten, entwickelte sich mit dem Ziel, wirtschaftliche Aktivitäten am Gemeinwohl statt am reinen Profit auszurichten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) baute nach dem Zweiten Weltkrieg ein beachtliches Unternehmensimperium auf, dessen Zentrum die Neue Heimat als größtes Wohnungsbauunternehmen Europas bildete.

## Die Neue Heimat: Vom Vorzeigeprojekt zum Skandal

Die Neue Heimat wurde als gemeinnütziges Unternehmen gegründet, um preiswerten Wohnraum für Arbeiter zu schaffen. In den 1960er und 1970er Jahren wuchs sie zu einem Giganten mit über 400.000 Wohnungen. Doch Anfang der 1980er Jahre kam es zum Skandal, als aufgedeckt wurde, dass der Vorstandsvorsitzende Albert Vietor und andere Manager private Immobiliengeschäfte auf Kosten des Unternehmens betrieben hatten.

Die Krise der Neuen Heimat offenbarte ein grundlegendes Problem: Gewerkschaftsfunktionäre, die eigentlich die Interessen der Arbeitnehmer vertreten sollten, hatten in ihren Rollen als Aufsichtsräte und Vorstandsmitglieder der gewerkschaftseigenen Unternehmen oft nicht die notwendige wirtschaftliche Expertise oder verloren ihr ursprüngliches Ziel aus den Augen.

## Die Rolle der WestLB

Die Westdeutsche Landesbank (WestLB) spielte bei diesen Verflechtungen eine entscheidende Rolle. Als öffentlich-rechtliche Bank mit engem Bezug zur nordrhein-westfälischen Landespolitik war sie ein wichtiger Kreditgeber für viele gewerkschaftsnahe Unternehmen. 

In den 1980er Jahren kam es zu einer zunehmenden Verstrickung zwischen WestLB, Politik und Gewerkschaften. Die Bank finanzierte unter der Führung von Johannes Rau (SPD) als Ministerpräsident von NRW verschiedene industriepolitische Projekte mit teilweise fragwürdigen Erfolgsaussichten, um Arbeitsplätze zu erhalten.

## Der Fall Preussag/TUI

Ein besonders bemerkenswertes Beispiel dieser Verflechtungen war die Umwandlung des Stahlkonzerns Preussag in den Touristikkonzern TUI unter maßgeblicher Beteiligung der WestLB. Die Bank erwarb Anfang der 1990er Jahre große Anteile an Preussag und trieb den Umbau des Unternehmens voran. Dabei kam es zu einem engen Zusammenspiel zwischen Bank, Landesregierung und Gewerkschaften, die den Umbau trotz erheblicher Arbeitsplatzverluste letztlich unterstützten.

## Lessons Learned: Die Problematik der "Deutschland AG"

Der WestLB-Skandal und die Verstrickungen mit den gewerkschaftseigenen Unternehmen offenbarten grundlegende Probleme der sogenannten "Deutschland AG" - dem engen Geflecht aus Banken, Unternehmen, Politik und Gewerkschaften:

1. **Interessenkonflikte**: Gewerkschaftsfunktionäre saßen oft in den Aufsichtsräten von Unternehmen und Banken und gerieten dabei in Interessenkonflikte zwischen ihrer Rolle als Arbeitnehmervertreter und als Unternehmensaufseher.

2. **Mangelnde Transparenz**: Die komplexen Verflechtungen führten zu intransparenten Entscheidungsstrukturen.

3. **Politische Einflussnahme**: Die WestLB wurde oft für industriepolitische Ziele eingesetzt, die nicht immer wirtschaftlich sinnvoll waren.

## Das Ende einer Ära

Die Skandale der 1980er Jahre läuteten das Ende des gewerkschaftseigenen Wirtschaftsimperiums ein. Die Neue Heimat wurde zerschlagen und verkauft, andere gewerkschaftseigene Unternehmen wie die Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) wurden ebenfalls privatisiert.

Auch die WestLB konnte sich von den Folgen ihrer expansiven und risikoreichen Geschäftspolitik nicht erholen. Nach mehreren Rettungsversuchen wurde sie schließlich im Zuge der Finanzkrise ab 2007 zerschlagen und ging 2012 in der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) auf.

## Die Verknüpfungen zwischen Co-op und den anderen Skandalen

Der Co-op-Skandal lässt sich nicht isoliert betrachten, sondern war Teil eines größeren Systems von Verflechtungen innerhalb der deutschen Gemeinwirtschaft. Die co op AG hatte enge finanzielle Beziehungen zur Bank für Gemeinwirtschaft (BfG), die ebenfalls unter gewerkschaftlichem Einfluss stand. Auch die WestLB war über Kredite und Beteiligungen mit dem Co-op-Konzern verbunden.

Ein wiederkehrendes Muster in all diesen Fällen war die mangelnde Kontrolle durch die gewerkschaftlich dominierten Aufsichtsgremien. Oft fehlte das wirtschaftliche Fachwissen, oder die Kontrollinstanzen waren durch personelle Verflechtungen kompromittiert. So saßen dieselben Gewerkschaftsfunktionäre in verschiedenen Aufsichtsräten und Vorständen der miteinander verflochtenen Unternehmen, was eine wirksame Kontrolle praktisch unmöglich machte.

## Fazit

Die Geschichte der Verflechtungen zwischen Genossenschaftswesen, Gewerkschaften und Banken wie der WestLB und der Co-op zeigt die Herausforderungen einer Wirtschaftsordnung, die versucht, gemeinwirtschaftliche Ziele mit unternehmerischem Handeln zu verbinden. Der Grundgedanke, wirtschaftliche Macht im Sinne der Arbeitnehmer einzusetzen, scheiterte oft an mangelnder Kontrolle, Interessenkonflikten und der Verführung durch Macht und Geld.

Die Skandale um Co-op, Neue Heimat und WestLB in den 1980er Jahren markierten einen Wendepunkt für die deutsche Gemeinwirtschaft. Sie führten zu einem drastischen Vertrauensverlust in die wirtschaftliche Kompetenz der Gewerkschaften und beschleunigten den Niedergang des "gewerkschaftlichen Kapitalismus".

Die Lehre aus diesen Skandalen hat zu einer deutlichen Trennung zwischen gewerkschaftlicher Interessenvertretung und unternehmerischer Tätigkeit geführt. Das deutsche Modell der Mitbestimmung hat überlebt, aber die Zeit der großen gewerkschaftseigenen Wirtschaftsimperien ist vorbei.

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